Durch Covid-19 dreht sich die Welt seit Wochen spürbar langsamer. Menschen und Wirtschaft spüren massive Einschränkungen, ganze Branchen sind stillgelegt. Die Folge sind massive wirtschaftliche Schäden durch gravierende Produktions-, Umsatz- und Einkommensausfälle, die oft existenzbedrohende Ausmaße annehmen. Und auch wenn mittlerweile einiges langsam wieder in Gang kommt, werden die wirtschaftlichen Folgen noch sehr lange spürbar sein.
Um die Wirtschaftssubjekte durch diese harte Zeit zu bringen, werden umfassende finanzielle Hilfen benötigt, die schnell an den Mann/die Frau bzw. die Unternehmen gebracht werden müssen. Hierbei sind insbesondere die Finanzinstitute gefordert.
Corona-bedingte Erleichterungen für Finanzinstitute
Um die Institute in ihren Aufgaben in der Corona-Krise zu stärken und eine schnelle Hilfe für die Wirtschaft zu sichern, haben die Aufsichtsbehörden vorübergehende Erleichterungen in der Bankenregulierung beschlossen. Um hier einige zu nennen:
Eigenmittelausstattung
- Die EZB erlaubt das vorübergehende Abschmelzen des kombinierten Kapitalpuffers bis zur Mindesteigenmittelausstattung nach Säule 2. Dazu empfiehlt sie den nationalen Aufsichtsbehörden den antizyklischen Kapitalerhaltungspuffer entsprechend anzupassen. Die EBA äußert sich dazu positiv (Pressemitteilung vom 12.03.2020). Per Allgemeinverfügung vom 31.03.2020 senkt die BaFin den antizyklischen Kapitalpuffer zum 01.04.2020 auf 0%. Die Bafin weist darauf hin, dass die Regelungen zu Ausschüttungsbeschränkungen weiterhin gelten.
- Die EZB erlaubt den Instituten zur Erfüllung der Mindesteigenmittelausstattung nach Säule 2, teilweise auch solche Kapitalinstrumente zu nutzen, die nicht als Tier 1-Kapital klassifiziert sind (z.B. Additional Tier 1 oder Tier 2 Kapitalinstrumente). Die EBA bestätigt dies wiederum per Pressemitteilung vom 12.03.2020.
Liquidity Coverage Ratio
- Die EZB erlaubt das vorübergehende Unterschreiten der Liquidity Coverage Ratio (LCR). Die EBA äußert sich in der Pressemitteilung vom 12.03.2020 hierzu ebenfalls positiv. Die BaFin teilt mit, dass eine Unterschreitung der LCR trotzdem anzuzeigen ist und die Wiederherstellung der Mindestquote mit dem betreffenden Institut abgestimmt wird.
Forbearance, Schuldnerausfall und IFRS 9
- Die EBA legt fest, dass die Anwendung allgemeiner Moratorien nicht automatisch zu einer Einstufung als Forbearance (gestundet) oder ausgefallen führt. Im Fall der Anwendung von IFRS 9 gilt durch die Anwendung allgemeiner Moratorien ein erheblicher Anstieg des Kreditrisikos ebenfalls nicht automatisch als wahrscheinlich.
Bankaufsichtliche Meldungen und Ad hoc-Abfragen
- Die EBA empfiehlt den zuständigen Behörden, alle Flexibilitäten der Bankenregularien auszunutzen, um die Banken zu unterstützen. Hierzu bittet sie die Aufsichtsbehörden abzuwägen, in welchen Fällen verspätete Dateneinreichungen seitens der Institute in der Zeit zwischen März und Mai 2020 unschädlich sind. Außerdem sollen die zuständigen Behörden eventuell notwendige Ad hoc-Datenanfragen, die zur Beobachtung der Banken in Bezug auf die Krise notwendig werden können, vorrangig behandeln.
Verschiebung aufsichtlicher Vorhaben
- Der für 2020 geplante EU-weite Stresstest und weitere Prüfungstermine der Aufsicht werden verschoben oder abgesagt.
- Die Fertigstellung des Basel III Rahmenwerks (CRR II) wird teilweise verschoben.
Schnelle Hilfe für Kreditnehmer durch allgemeine Moratorien
Für die Institute stellt die Unterstützung der von Corona getroffenen Unternehmen nicht unbedeutende Risiken dar. Wenn es darum geht schnell und möglichst unbürokratisch Hilfestellung geben, sind die aktuellen aufsichtsrechtlichen Vorschriften oft eine Hürde. Die Bankenaufsicht hat in den letzten Jahren ein besonderes Augenmerk auf notleidende, ausgefallene und gestundete Kredite gelegt. Solche gefährdeten Geschäfte sind entsprechend mit hohen Eigenmittelbeträgen zu hinterlegen und im Reporting der Banken gesondert auszuweisen (z.B. FinRep F18, F19).
Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation hat sich die Aufsicht auch hier für Erleichterungen in Form sogenannter allgemeiner Moratorien (Stundungsmaßnahmen) entschlossen, die auf gesetzlicher Basis oder auch ohne Gesetzesgrundlage aufgelegt werden. In Deutschland wurde bereits mit Art. 240 ein gesetzliches Moratorium in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuche (EGBGB) aufgenommen. Um solche Maßnahmen in den Instituten umsetzen zu können, bedarf es allerdings einer situationsbedingten Auslegung der bestehenden Regelungen.
Stundung und Schuldnerausfall nach CRR – eine kurze Begriffsklärung
Eine Stundungsmaßnahme nach Art. 47b CRR (Forbearance) liegt vor, wenn die Stundung eine Konzession an den Schuldner darstellt, der in finanziellen Schwierigkeiten steckt, oder droht in solche zu geraten. Die Stundungsmaßnahme in diesem Sinne kann eine Änderung der Vertragsbedingungen zugunsten des Schuldners (Abs. 1 lit. a) oder eine teilweise oder vollständige Refinanzierung des Kredites sein (Abs. 1 lit. b).
Ein Schuldnerausfall nach Art. 178 CRR liegt vor, wenn es unwahrscheinlich erscheint, dass der Schuldner seine Verbindlichkeit gegenüber dem Institut begleicht (Abs. 1 lit. a) und/oder wenn der Schuldner mit einer wesentlichen Verbindlichkeit gegenüber dem Institut, seit mehr als 90 Tagen (in bestimmten Fällen 180 Tagen) überfällig ist (Abs. 1 lit. b). Auf den Begriff der Wesentlichkeit wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen.
Nach Art. 178 Abs. 3 lit. d CRR, ist eins von mehreren Indizien auf Unwahrscheinlichkeit der Zahlung, wenn das Institut der krisenbedingten Restrukturierung der Verbindlichkeit zustimmt und der in dem Zuge gewährte Erlass oder die Stundung dazu führt, dass die Verbindlichkeit des Schuldners sinkt. Die EBA hat diese Regelung mit den Guidelines 2016/07 insoweit ergänzt, dass der Kunde in diesem Fall nicht als ausgefallen zählt, solange die Verbindlichkeit nicht um mehr als 1% des Barwertes sinkt. Diese Guidelines gelten zwar erst ab 01.01.2021, die BaFin hat sie aber bereits jetzt in die Auslegungen aufgrund der Corona-Krise einbezogen.
Kriterien der allgemeinen Moratorien
Gewähren die Institute nun vielen Kunden Stundungsmaßnahmen, würde das die Institute stark belasten und die Möglichkeiten zur schnellen Hilfe beschränken. Daher hat die Aufsicht die Regelungen mit Bezug auf Covid-19 ausgelegt.
In den Guidelines zu gesetzlichen Moratorien und Moratorien ohne Gesetzesform für Darlehenszahlungen vor dem Hintergrund der COVID-19-Krise (EBA/GL/2020/02) ist festgelegt, unter welchen Bedingungen eine Stundungsmaßnahme keine Stundungsmaßnahme nach Art. 47b CRR ist und wieso diese Stundungsmaßnahme nicht automatisch zum Schuldnerausfall nach Art. 178 CRR führt. Die Kriterien für ein allgemeines Moratorium sind folgende:
- Das Moratorium stützt sich auf geltendes Recht (gesetzliches Moratorium) oder es handelt sich um eine Zahlungsentlastungsinitiative ohne Gesetzesform, im Rahmen eines branchen- oder sektorweiten Moratorium-Programms, vereinbart und koordiniert in Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden.
- Das Moratorium gilt für eine große Gruppe von Schuldnern, die vorab festgelegte Kriterien erfüllen. Die Anwendung der Maßnahme ist nicht von deren Kreditwürdigkeit abhängig. Für unterschiedliche Gruppen von Schuldnern, können verschiedene allgemeine Moratorien angewendet werden.
- Das Moratorium bewirkt die Änderung der vorgesehenen Zahlungen durch Aufschub, Aussetzung oder Verringerung der Zahlungen für den Darlehensbetrag, die Zinsen oder Tilgungsraten, für einen vorab festgelegten Zeitraum. Sonstige Bedingungen des Darlehensvertrages werden nicht geändert.
- Die Bedingungen der Maßnahme gelten für alle ihr unterliegenden Risikopositionen gleichermaßen.
- Darlehensverträge, die nach Bekanntgabe des Moratoriums abgeschlossen werden, fallen nicht unter das Moratorium.
- Das Moratorium ist eine Reaktion auf die Virus-Pandemie und tritt vor dem 30. Juni 2020 in Kraft. Der Zeitraum kann entlang den Entwicklungen der Pandemie verlängert werden.
Die EBA legt in ihren Guidelines fest, dass die Anwendung des allgemeinen Moratoriums, sofern es die genannten Kriterien erfüllt, keine Konzession im Sinne des Art. 47b CRR darstellt, da die Maßnahmen nicht auf den einzelnen Kunden zugeschnitten, sondern für alle unterliegenden Risikopositionen gleichermaßen gültig sind. Eine Unwahrscheinlichkeit der Zahlung aufgrund der krisenbedingten Restrukturierung liegt demnach nicht automatisch vor. Die Unwahrscheinlichkeit der Zahlung aufgrund sonstiger Anzeichen muss aber weiterhin individuell geprüft werden. Die Zählung der Verzugstage beginnt gemäß dem angepassten Zahlungsplan, ein Verzug ist demnach nicht gegeben. Der Kunde gilt also durch die Anwendung des allgemeinen Moratoriums nicht automatisch als gestundet nach Art. 47b CRR oder ausgefallen nach Art. 178 CRR.
Umsetzung in den Instituten in verschiedenen Szenarien möglich
Nun stellt sich die Frage, wie die allgemeinen Moratorien intern von den Instituten umgesetzt werden können. Je nach Ausgestaltung der Maßnahme, sind verschiedene Szenarien denkbar, z.B. der Einzug der gesundeten Zahlungen zum Laufzeitende des Vertrags oder die Gewährung von Stundungsdarlehen. In der Regel werden Geschäfte, die Kennzeichen von Verzug, Ausfall, Wertminderung, etc. über die Datenanlieferung mitbringen, automatisch vom Meldetool in die entsprechenden Spalten und Zeilen der Meldungen zugeordnet. Entsprechend sollte man Stundungen nach Art. 47b CRR und Ausfälle nach Art. 178 CRR bereits im Datenhaushalt von allgemeinen Moratorien unterscheiden können.
Auswirkungen auf die Meldewesen-Vorverarbeitung im iBS-SRT
Im iBS Standard Reporting Tool (iBS-SRT) wird eine Möglichkeit der Einstellung der Moratorien, der Zeiträume und der Zuordnung von Verträgen aufgrund deren Produkteigenschaften angeboten.
Die iBS plant die Ergänzungen zeitnah als Transport auf Basis des jüngst veröffentlichten iBS-SRT Release 7.4.0 sowie zusätzlich als Hinweis auszuliefern. Über den Hinweis erhalten iBS-SRT Kunden die Möglichkeit, die Anpassungen ggf. auch ohne Wechsel auf das aktuelle Release 7.4.0, d.h. auf Basis des Release 7.3.1, einzubauen.
Erwartet die Finanzwelt nach Corona die nächste Krise?
Die fortschreitenden Entwicklungen von Basel und hier besonders die Eigenmittel- und Liquiditätsanforderungen sollen Finanzkrisen vermeiden. Nun stehen sie den Banken bei der Abwehr der Wirtschaftskrise im Weg und werden an die ungewöhnlichen Umstände vorübergehend angepasst. Doch was kommt nach Corona, wenn die Welt sich wieder in annähernd normaler Geschwindigkeit dreht? Kapitalpuffer sind dann abgeschmolzen, Liquidität ist aufgebraucht, die Eigenmittelqualität hat sich verändert. Und sicherlich ist der ein oder andere Kreditnehmer doch noch endgültig in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Experten gehen nicht von einer drohenden Finanzkrise aus, doch was nach der Viruspandemie auf die EU zukommt, kann wohl derzeit niemand so genau sagen.
Dieser Artikel hat den Stand 21.04.2020. Die Aufsichtsbehörden veröffentlichen regelmäßig Updates zum Thema Corona auf ihren Internetseiten. Übersichten zu den Pressemitteilungen, Guidelines, etc. finden Sie hier:
- https://www.ecb.europa.eu/press/pr/html/index.en.html
- https://eba.europa.eu/coronavirus
- https://www.bafin.de/DE/Aufsicht/CoronaVirus/CoronaVirus_node.html?cms_gtp=13831694_unnamed%253D2%252613831636_list%253D4
- https://dejure.org/gesetze/EGBGB/240.html